Die Belgische Zeit, in : Nidrum, 1998, S.162

 

 

Mit Inkraftreten des Versailler Vertrages im Januar 1920 wurden die Kreise Eupen-Malmedy dem belgischen Königreich angegliedert. Um die Integration in den neuen Staat zu erleichtern, wurde in unserem Gebiet während fünf Jahre eine Sonderverwaltung unter Generalleutnant Henri Baltia eingerichtet.

 

Vorrangiges Ziel des BaltiaRegimes im Schulwesen war die Reorganisation der Lehrerschaft und die Säuberung von belgienfeindlichen Elementen. Die Lehrerschaft in Eupen-Malmedy war in ihrer Gesinnung deutschnational geprägt. Nur zwölf der ehemals reichsdeutschen Lehrer erklärten sich während der famosen »Volksbefragung« im Sommer 1920 dazu bereit, nun im belgischen Schuldienst auf ihren Posten zu bleiben. Alle übrigen wurden daraufhin im September 1920 von Generalleutnant Baltia entlassen. An ihre Stelle traten vorwiegend deutschsprachige Lehrer aus Altbelgien und der Provinz Luxemburg, deren Rekrutierung sich sehr schwierig gestaltete.

 

Nach Nidrum kamen Lehrerin Maria Jacquemin und Lehrer Mathias Cravatte, der zum Hauptlehrer ernannt wurde und mit einer Unterbrechung während der Kriegsjahre 194045, bis zu seiner Pensionierung 1957 hier tätig war.

Mit Beginn der belgischen Verwaltung wurde der Schuljahresanfang gemäss dem belgischen System von Ostern auf Anfang Oktober verlegt und das laufende Schuljahr bis Mitte August verlängert.

 

Im Mai 1920 beschloss Gouverneur Baltia die Aufhebt der Hüteschulen mit dem Hinweis, dass auch die preussische Regierung deren Beseitigung für das Jahr 1920 angekündigt hatte.(13, S. 149)

Am 31. Mai 1926 beschloss der Gemeinderat einst in die Ferien vom 10. August bis zum 15. September zuzüglich 9 Tage im Oktober für die Kartoffelernte festzulegen. 1930 dauerten die Ferien bis zum 6. Oktober.

 

Neues Unterrichtsprogramm

 

Die Angliederung an Belgien erforderte die Umstellung des gesamten Unterrichtsprogramms auf belgische Verhältnisse. Fortan wurde die Geschichte des neuen Vaterlandes gelehrt, das Turnen verschwand aus dem Lehrplan, neben der Sütterlinschrift wurde nach und nach verstärkt die lateinische Schreibschrift eingeführt. Eine weitere grundlegende Änderung stellte die Einführung der französischen Sprache in den Volksschulen dar. Am 1. Mai 1922 trat für Eupen-Malmedy das neue Volksschulgesetz in Kraft. Die Muttersprache sollte Unterrichtssprache sein, ab dem 5. Schuljahr aber konnte eine zweite Landessprache unterrichtet werden. General Baltia sah für die deutschsprachigen Volksschulen Französisch als Pflichtfach in den oberen Klassen vor, machte aber darüber hinaus für verschiedene Fächer wie Rechnen, Erdkunde und Geschichte ebenfalls Französischen Unterrichtssprache zur Pflicht. Die Bestimmungen des (S.163) Lehrplans von 1924 änderte er dahingehend um, dass der Interrichtsbeginn für Französisch bereits auf das erste Schuljahr festgelegt wurde.

 

Ab 1926 waren die Gemeinden an diese Sonderbestimmungen nicht mehr gebunden. Sie konnten nun selbst die Organisation des Französischunterrichts bestimmen.

Den Jugendlichen und Erwachsenen bot man in Abendkursen die Gelegenheit, die französische Sprache zu erlernen oder zu vertiefen.

Auf seiner Sitzung vom 29. Juli 1933 beschloss der Gemeinderat, dass der Französischunterricht in den Schulen der Gemeinde Elsenborn ab dem 3. Schuljahr eingeführt wird und zwar 3 Stunden im 3. und 4. Schuljahr, 5 itunden im 5. und 6. Schuljahr und 6 Stunden wöchentlich im 7. und 8. Schuljahr.

 

Methodik in dieser Zeit

 

Was nun die Lernmethoden anbetrifft, so hatte sich im Vergleich zur deutschen Zeit eigentlich nichts Entscheidendes geändert. Nach wie vor wurde der Unterricht frontal erteilt, das heifêt die Lehrperson redete, zeigte, erklärte, war also der aktivere Teil des Geschehens, die Schiller hörten zu, machten Übungen, waren folglich häufiger passivere Teil im Unterrichtsablauf. Ausserdem gehörte die Priigelstrafe nach wie vor zum Schulalltag. Besonders verwerflich ist dabei die Tatsache, dass der Stock nicht nur bei schlechtem Betragen gebraucht wurde, sondern ebenfalls, wenn die vorhandenen Kenntnisse in den Augen der Lehrpersonen nicht ausreichend waren. »Dummheit« wurde allzu oft mit Schlägen bestraft. Diese schulische Praxis war keine Besonderheit in Nidrum, sondern gehörte in der damaligen Zeit ganz einfach zum Schulleben dazu. Dabei hatte der erste Staatsanwalt Hensinger aus Aachen in einem Schreiben vom 8. Mai 1897 an sämtliche Hilfsbeamten unter anderem daran erinnert: Die von einem Lehrer mit vorsätzlicher oder fahrlässiger Überschreitung des ihm zustehenden Züchtigungsrecht einem Schiller zugefügte körperliche Züchtigung ist eine gerichtlich strafbare und verfolgbare Handlung, wegen deren die Staatsanwaltschaft, sofern zureichende, tatsächliche Anhaltspunkte vorliegen, einzuschreiten verpflichtet ist. Bemerkenswert ist auch, dass streng auf Trennung der Geschlechter geachtet wurde.

 

(p.166) Die Kriegsjahre

 

Beim Einmarsch der Deutschen Truppen am 10. Mai 1940 flohen etwa zwei Drittel aller in unserem Gebiet tätigen Volksschullehrer ins Landesinnere. Einige hatten sich schon früher abgesetzt.(13, S. 150)

 

In Nidrum blieb nur Frau Elisabeth Peiffer, die seit 1938 hier unterrichtete, auf ihrem Posten. Lehrer Gronsfeld hatte seine Arbeit am 19. Mai wieder aufgenommen und Nidrum am 20. September des gleichen Jahres verlassen, um in Montzen aïs Lehrer tätig zu sein. Neuer Hauptlehrer wurde Clemens Meyer. Während der Kriegs­jahre kam es zu häufigen Lehrerwechseln, manche Lehrpersonen oder Gehilfen waren nur wenige Wochen tätig.

Am 10. Mai wurde die Schule geschlossen und nach der Vereinigung Eupen-Malmedys mit dem Dritten Reich am 19. Mai wieder geöffnet. Erneut mussten die Schulkinder tiefgreifende Veränderungen im Schulbetrieb über sich ergehen lassen. Zunächst wurden die Kreuze und Königsbilder aus den Klassen entfernt und durch Führerbilder ersetzt. Das gesamte Unterrichtsprogramm erfuhr eine radikale Umstellung auf die nationalsozialistische Ideologie. Neben dem obligatorischen »Heil Hitler« begann der Schultag mit einem Zitat des Führers als Leitspruch. Regelmäftig wurden die Fortschritte der deutschen Armeen auf einer Landkarte verfolgt und besprochen. Die Unterrichtsfächer Deutsche Geschichte, Erdkunde, Leibeserziehung und Gesang hat­ten fortan einen hohen Stellenwert im Schulprogramm.

(p.167) Die Lehrerbibliothek wurde mit zahlreichen neuen deutschen, ideologisch durchsetzten Büchern ausgestattet, und die Lehrpersonen selbst wurden in der Folgezeit oft zu Schulungsseminaren und Fachtagungen eingeladen, der Religionsunterricht wurde aus den Schulen verbannt… Wie im Ersten Weltkrieg wiederholten sich auch jetzt seitens der Kinder die Materialsammlungen für die Frontsoldaten.

 

Bis zum Sommer 1944 konnte der Unterricht ziemlich regelmässig stattfinden.

Mit dem Einmarsch der Amerikaner Mitte September 1944 und der anschliefèenden Evakuierung wurde bis zum Ende des Krieges im Mai 1945 der Schulbetrieb völlig eingestellt.

 

Die Nachkriegszeit

 

Säuberung und Rehabilitierung

 

Alle Lehrpersonen, die 1940 auf ihrem Posten geblieben waren, verloren ihre Arbeitsstelle, obwohl der belgische Staat sie damais ausdrücklich aufgefordert hatte, weiter zu unterrichten und die »Aufrechterhaltung einer ordnungsgemässen Arbeit in Schule und Verwaltung zu sichern. Sie wurden im Rahmen eines »lebenswichtigen Säuberungswerks«, so der offizielle Wortlaut in einem ministeriellen Schreiben, vom Militärgericht als unwürdig befunden, weiterhin Schiller zu erziehen. Es blieb ihnen nichts anderes übrig, als durch eine neue Beschäftigung für ihren Lebensunterhalt zu sorgen.

 

Erst ab 1957/58 wurden die Lehrpersonen rehabilitiert und durften wieder unterrichten. Allerdings gestand ihnen der belgische Staat nur ein Grundgehalt wie das eines Anfängers zu. AuBerdem wurden die zu deutscher Zeit geleisteten Dienstjahre nicht anerkannt, und durch die Amtsenthebung nach dem Krieg gingen ihnen weitere zehn bis fünfzehn Jahre in ihrer beruflichen Laufbahn verloren. Der zermürbende Kampf um eine vollständige Rehabilitierung dauerte bis in die 70er Jahre.

 

Nach dem Kriege sollte EupenMalmedy nun endgültig in die belgische Nation einbezogen werden. Französisch war die Sprache der Belgientreuen. Sie gewann an Einfluss im öffentlichen Leben und auch in der Schule.

 

Neubeginn

 

Nach den Kriegsereignissen kehrte Hauptlehrer Cravatte nach Nidrum zurück. Es war aber noch nicht daran zu denken, den Schulbetrieb wieder aufzunehmen, da in der Schule viel verwüstet war. Der Provinzgouverneur legte den Schulbeginn auf den 24. September 1945 (ein ganzes Schuljahr war ausgefallen) fest. Wegen der Amts­enthebung der Lehrpersonen, die während der Deutschen Zeit unterrichtet hatten, gestaltete sich die Suche nach neuen Lehrkräften sehr schwierig. Da die meisten ostbelgischen Lehrpersonen mit einem Berufsverbot belegt waren, wurde Ersatz aus der Provinz Luxemburg rekrutiert. 1945 kam Lehrer Adam aus der Gegend von Virton, als 2. Lehrperson nach Nidrum. 1946 folgte Lehrerin Ponce.

Nach dem Kriege wurde der Kindergarten zunächst nicht wieder eröffnet.

 

Einrichtung einer 4. Klasse

 

Auf seiner Sitzung vom 29. Oktober 1946 stellte der Gemeinderat fest, dass die Nidrumer Schule, die zu diesem Zeitpunkt von 123 Kindern besucht wurde, die gesetzlichen Bedingungen erfüllte, welche zur Einrichtung einer 4. Klasse erforderlich waren. Daher beantragte er beim Unterrichtsministerium die Subsidierung dieser Klasse, deren Eröffnung am 7. März 1947 bewilligt wurde. Leh­rer Köther wurde mit der Betreuung der Schüler beauftragt.

 

Einrichtung einer Erwachsenenabendschule zum Erlernen der französischen Sprache

 

Am 14. Januar 1946 wurde in Nidrum eine solche Schule eröffnet. Jeweils montags, mittwochs und freitags erteilte Lehrer Adam von 19.30 Uhr bis 21.30 Uhr einen Französischkurs für Erwachsene.

 

Im Schulleben änderte sich erneut einiges. Als erstes wurden die Kreuze und Königsbilder in die Klassen zurückgebracht und der Religionsunterricht wieder durch den Pastor in der Schule erteilt. Die Lehrperso­nen waren nur für die biblische Geschichte zuständig. Der Schultag begann mit dem Morgengebet und dem Singen der Brabançonne. Die deutschen Bücher wurden durch belgische, bzw. luxemburgische ersetzt. Rechnen, Geschichte oder Erdkundebücher waren in französischer Sprache, (S.168) was das Lernen, besonders für die schwächeren Schüler, nicht erleichterte. Französisch wurde erneut als Pflichtfach eingeführt.

 

In der 3. und 4. Klasse sollte die Hälfte des Unterrichts in französischer Sprache erteilt werden, während ab dem 5. Schuljahr Deutsch nur noch als Zweitsprache in Frage kam. Letztere Regelung wurde in Nidrum effektiv im 5. und 6. Schuljahr in die Tat umgesetzt, da der Klassenleiter, Fernand Adam ausschliesslich die französische Sprache beherrschte. Pädagogisch hatte sich seit der Jahrhundertwende kaum etwas geändert. Nach wie vor wurde der Unterricht frontal erteilt: die Lehrpersonen redeten und erklärten, während die Schüler versuchten dem Gesagten zu folgen und es zu verstehen. Dies war umso schwieriger, als viele aus sprachlichen Gründen weder die Ausführungen des Lehrers, noch die Texte in den Büchern verstehen konnten. Bezeichnend für die damalige Zeit ist die Tatsache, dass viele Kinder im Laufe ihrer Grundschulzeit 2, 3 oder sogar 4 Mal »sitzen blieben«, eine unmögliche Situation. Für Schüler mit Lernschwierigkeiten wurde nur wenig getan, Differenzierung (d.h. Berücksichtigung der Möglichkeiten des Einzelnen) war noch ein Fremdwort. Im Gegenteil, die Prügelstrafe gehörte wie zur preussischen Zeit zum Schulalltag. Es sollten nochmals rund 20 Jahre verstreichen, ehe mit einer neuen Generation von Lehrperso­nen die Prügelstrafen der Vergangenheit angehören und mit einer wirklichen Schulreform, auf die wir am Ende dieses Kapitels eingehen werden, begonnen werden konnte.

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